KUNST IN CHRIST-KÖNIG

 

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Die Künstlerin

Irmi Sellhorst

geb. 1966 in Gelsenkirchen, 1987-1992 Goldschmiedelehre, Goldschmiedegesellin, 1992-1995 Studium an der Ruhrakademie Schwerte, Abt. Freie Kunst, bei Prof. Sensen, Prof. Aretz, Prof. Störr.
1995-1999 Studium an der Ruhrakademie Schwerte, Abt. Grafik Design bei Prof. Aretz, Prof. Winterhager, André Maaßen. Seit 1992 freie künstlerische Tätigkeit, innovative Krippeninstallationen und Krippenperformances in Kirchen, Gestaltung von Hungertüchern, Grafik Design, seit 2007 lebt und arbeitet die Künstlerin in München, Studium am Institut für Kunst und Therapie München bei Prof. Dr. Gertraud Schottenloher, Prof. Barbara Putz-Plecko u.a. seit 2009 Studium an der Hochschule für Kunsttherapie Nürtingen
 

Termine

24. Oktober - 14. November 2010

Presse

Ruhr Nachrichten - 26.10.2010

Provozierende Installation in Wort und Bild

"Wo warst du?" ist eine Frage, die man oft stellt und die für so vieles stehen kann. Für die Künstlerin Irmhild Sellhorst bedeutet dies, sich der Verantwortung des Geschehenen zu stellen, über Ereignisse zu reflektieren und sich mit ihnen in Verbindung zu setzen.
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WAZ - 22.10.2010

Künstlerin sucht die kritische Auseinandersetzung

„Wo warst du...“ heißt eine Text- und Bildinstallation, die die Künstlerin Irmhild Sellhorst in der Kunstkirche Christ König realisiert. Die eindringlichen Worte des 74. Psalms werden mit verstörenden Videosquenzen konfrontiert.
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wo warst du ...

Raum- und Videoinstallation von Irmhild Sellhorst

Rede von Bernhard Lücking zur Vernissage am 23. Oktober 2010

„Wo warst du, Adam?“ Unter diesem Titel erschien 1951 ein früher Roman von Heinrich Böll, ein Antikriegsroman, der die Unmenschlichkeit der Kriegsmaschinerie zeigt: Hoffnungslosigkeit und Zerstörung, das Kaputtsein der Menschen angesichts der Zerstörung, die Absurdität menschlichen Lebens im Krieg.

Böll stellt seinem Roman zwei Mottos voran, von dem das erste von Theodor Haecker stammt. Theodor Haecker (1879-1945) Schriftsteller und Essayist, Kulturkritiker der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus, ein erbitterter Gegner der Nazis, der auf die Widerstandsgruppe um die Geschwister Scholl, die Weiße Rose, einen großen Einfluss ausübte. Auch als Übersetzer wurde er bekannt. Er ist wieder ganz aktuell geworden als Übersetzer des jüngst seliggesprochenen Kardinal John Henry Newman, dessen Lektüre Haecker zur Konversion zum Katholizismus veranlasste.

Das Motto, das Böll wählte, lautet: „Eine Weltkatastrophe kann zu manchem dienen. Auch dazu, ein Alibi zu finden vor Gott. Wo warst du, Adam? ‚Ich war im Weltkrieg‘.“

Haecker erinnert mit diesem Wort an die Geschichte des Sündenfalls: Als Adam und seine Frau Eva von der verbotenen Frucht gegessen haben, verstecken sie sich, und Gott fragte: Wo bist du?

Eine Frage, die eine Antwort verlangt, eine Frage, die in die Verantwortung ruft: Wo warst du?

Wo warst du, Adam - Wo warst du, Mensch? Nie mehr werden Irmi Sellhorst und ich vergessen, was wir einmal nach einem Vortrag des Rabbiners Tovja Ben-Chorin hörten. Er ist der Sohn des bekannten jüdischen Religionsphilosophen Schalom Ben-Chorin. Auf die Frage aus dem Publikum: Wo war denn Gott in Auschwitz? antwortete Tovja Ben-Chorin: Fragen Sie nicht, wo war Gott, fragen Sie vielmehr: Wo war der Mensch?

Diese Frage nach dem Menschen durchzieht das Leben, das Werk und das vielfältige Engagement von Irmi Sellhorst. Diese Frage stellt sie sich immer zuerst. Diese Frage spitzt sich zu bei dem schrecklichsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte für das der Name Auschwitz steht. Und das ist unsere Vergangenheit, die, wenn wir auch nach dem Krieg geboren sind, uns verfolgt, uns immer neu in die Verantwortung ruft: Wo warst, du . . .? Deshalb die immer neue Auseinandersetzung mit dieser Vergangenheit im Werk von Irmi Sellhorst: Ihr geht es nicht um Anklage, sondern um Standortbestimmung. Sie erinnert dabei aber auch an Menschen, die in der Unmenschlichkeit standhielten als Menschen. Sie setzte sich künstlerisch auseinander mit Edith Stein, vor allem aber mit Nikolaus Groß. In der Herz-Jesu-Kirche in Gelsenkirchen-Buer-Resse befindet sich eine eindrucksvolle Gedenkstätte, die an Nikolaus und Elisabeth Groß erinnert, aber auch an andere Märtyrer des Dritten Reiches.

Sie machte einen Entwurf für die Nikolaus-Groß-Kapelle im Dom, der leider nicht genommen wurde, weil er wohl offensichtlich die Menschen zu stark konfrontierte mit dieser Frage: Wo warst du . . .?


In meiner Pfarrkirche St. Joseph in Duisburg am Dellplatz gestaltete sie im vergangenen Jahr eine Gedächtniskapelle für Gottfried Könzgen, der in unmittelbarer Nähe zu St. Joseph lebte. Der Arbeitersekretär der KAB wurde auf Grund seines Widerstandes gegen die Nazis wie Nikolaus Groß, Bernhard Letterhaus und Prälat Otto Müller von den Nazis umgebracht. Könzgen kam im KZ Mauthausen ums Leben. Ich kann Sie alle nur einladen, sich diese Gedächtniskapelle anzuschauen. Immer wieder erlebe ich, wie Menschen, wenn sie die Kapelle betreten, stumm werden.

Wo warst du? Könzgen hat seine Antwort gegeben, und Irmi Sellhorst hat dies in ihrer Kapellengestaltung anschaulich gemacht.

Ich könnte noch manches zu den Krippeninstallationen sagen, die Irmi Sellhorst über 10 Jahre lang in der Herz-Jesu-Kirche in Resse gestaltet hat. Auch hier verband sie mit immer neuen Materialien und Ideen, das Thema der Menschwerdung Gottes mit der Frage nach dem Menschen. Krippe und Kreuz gehören für sie unmittelbar zusammen. Das war höchst umstritten. Was so selbstverständlich erscheint, war für viele unerträglich. Doch Irmi Sellhorst ging es immer darum zu zeigen und anschaulich zu machen: Gott ist Mensch geworden, er hat die Unmenschlichkeit an sich austoben lassen, damit wir Menschen menschlich werden.

In letzter Zeit hat sich Irmi Sellhorst besonders mit dem deutsch-schweizerischen Schriftsteller, Psychologen und Psychoanalytiker Arno Grün auseinander gesetzt. Arno Grün ist 1923 als Sohn jüdischer Eltern in Berlin geboren. Grün überlebte die Shoah, arbeitete zunächst in den Vereinigten Staaten und lebt jetzt in Zürich. 2001 erhielt er den Geschwister-Scholl-Preis  für sein Buch „Der Fremde in uns“ und wurde so einer größeren Öffentlichkeit bekannt.

Das Buch thematisiert die Entfremdung des Menschen von sich selbst und macht dies unter anderem an historischen Persönlichkeiten wie Hitler, Göring, Frank und Heß deutlich.

Ein Satz aus diesem Buch erschreckt mich, geht mir nach und macht diese Ausstellung so aktuell: „Hitler war der Vorläufer eines Prozesses, der immer noch in vollem Gange ist. Dieser Prozess betreibt die Entfremdung des Individuums und untergräbt die Möglichkeit zur Entwicklung einer wahrhaft menschlichen Identität.“

Wo warst du . . .?

Wir befinden uns in einer sog. weiteren Kirche, einer Kirche, die nur noch ganz selten dem liturgischen Gottesdienst dient. Als Kunstkirche öffnet sie den Raum für Installationen.

Erschreckend ist natürlich, dass in dieser Kirche der 74. Psalm Graffiti ähnlich auf den Boden geschrieben ist.

Der 74. Psalm ist ein Klagepsalm, der die Zerstörung des Tempels 586 v. Chr. bei Gott anklagt und sein Weltkönigtum einklagt und preist. Wie treffend für eine Christkönigkirche, die, wenn auch nicht profaniert, so doch kaum für den liturgischen Gottesdienst zur Verfügung steht.

Dieser 74. Psalm gehört zum festen Bestandteil von Gedächtnisfeiern zur Reichspogromnacht.

Man kann gar nicht anders, als diesen Psalm in diesen Zusammenhang zu stellen, und es passt gut, dass diese Installation am 9. November noch in dieser Kirche zu sehen ist.

Was mich geradezu anschreit, sind bestimmte Wörter, die wahllos herausgegriffen zu einem Gedicht werden, das immer neu das Thema variiert: Wo warst du . . .?

Die Filmsequenzen in der Apsis und an den Wänden verhindern jede Beliebigkeit und stellen die Frage in einen Kontext, der jeden nach seiner Antwort suchen lässt: Wo warst du . . .?

Die Dornenkrone, das Königtum Christi, unterstreicht das eben Gesagte in der Frage: Wo warst Du, Gott? Schauen wir auf die Filmsequenzen und die Dornenkrone und wir erhalten die Antwort: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?

Lassen Sie mich am heutigen Tag, am 23. Oktober, die Frage: Wo warst du? noch einmal zuspitzen zu der Frage: Wo warst du, Kirche?

Wir sind in einer ehemaligen Franziskanerkirche. Die katholische Kirche gedenkt heute am 23. Oktober des heiligen Johannes Capestrano, eines Franziskaners. In Wien befindet sich am Stephansdom eine Kanzel über der sich ein gewaltiges Denkmal dieses Heiligen befindet. Er war ein großer, aber gefährlicher Prediger, ein Demagoge, ein Heiliger, den man längst hätte aus dem Heiligenkalender streichen müssen. Sein Wirken ist eine Vorbereitung dessen gewesen, was wir in diesen Filmsequenzen sehen.

Johannes Capestrano (1386-1456) war ein Buß- und Volksprediger, der vom Papst 1447 zum Inquisitor für die Juden und für die Bekehrung der Hussiten beauftragt wurde. Scharenweise kamen die Menschen von Sizilien, Moldawien und Polen, von Schlesien, Österreich bis Dänemark, Livland, Kurland, Böhmen, Mähren und Ungarn zu seinen Predigten 1453 kam es in Breslau zu einem schrecklichen Judenpogrom. Man beschuldigte die Juden der Hostienschändung. Capestrano wurde vom König mit der Untersuchung beauftragt. Daraufhin wurden am 2. Mai 1453 alle 318 Juden in Breslau und Umgebung inhaftiert und Geständnisse mit Folter erpresst. Capestrano ließ 41 Juden auf dem Scheiterhaufen verbrennen und die übrigen aus der Stadt ausweisen. Das Vermögen der Juden wurde eingezogen, wohl der eigentliche Grund für das Pogrom; denn man hat in jüngster Zeit die Schuldscheine gefunden, die den Juden gehört hatten. Im Anschluss daran bekam 1455 die Stadt Breslau das Privileg zur Nichtduldung der Juden das de jure bis 1744 in Kraft blieb.

Am 12. Oktober 1891 wurde in Breslau die Jüdin Edith Stein geboren.


An der Wand erkenne ich die Umrisse des Kreuzes, das in dem Kirchlein S. Damiano zum hl. Franziskus gesprochen hat: „Geh und richte meine Kirche wieder her, die, wie du siehst,  zu zerfallen droht.“


Ja, diese Installation ist eine Provokation, eine Herausforderung und ruft in die Verantwortung:

Wo warst du . . .? Sie ist auch ein Beitrag, dass auch die Kirche sich ihrer Verantwortung, ihres Auftrags immer neu vergewissert: Gott ist Mensch geworden, damit wir Menschen Menschen werden. Ich möchte der Künstlerin herzlich danken für diese Provokation.


Bernhard Lücking




Aus der Filmdokumentation "Wandlung - Kunst in Christ König 2010":


Film © 2010 Ralf Brisi, www.wandlung-kick2010.de




Die Künstlerin

Irmi Sellhorst

geb. 1966 in Gelsenkirchen, 1987-1992 Goldschmiedelehre, Goldschmiedegesellin, 1992-1995 Studium an der Ruhrakademie Schwerte, Abt. Freie Kunst, bei Prof. Sensen, Prof. Aretz, Prof. Störr.
1995-1999 Studium an der Ruhrakademie Schwerte, Abt. Grafik Design bei Prof. Aretz, Prof. Winterhager, André Maaßen. Seit 1992 freie künstlerische Tätigkeit, innovative Krippeninstallationen und Krippenperformances in Kirchen, Gestaltung von Hungertüchern, Grafik Design, seit 2007 lebt und arbeitet die Künstlerin in München, Studium am Institut für Kunst und Therapie München bei Prof. Dr. Gertraud Schottenloher, Prof. Barbara Putz-Plecko u.a. seit 2009 Studium an der Hochschule für Kunsttherapie Nürtingen
 

Termine

24. Oktober - 14. November 2010

Presse

Ruhr Nachrichten - 26.10.2010

Provozierende Installation in Wort und Bild

"Wo warst du?" ist eine Frage, die man oft stellt und die für so vieles stehen kann. Für die Künstlerin Irmhild Sellhorst bedeutet dies, sich der Verantwortung des Geschehenen zu stellen, über Ereignisse zu reflektieren und sich mit ihnen in Verbindung zu setzen.
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WAZ - 22.10.2010

Künstlerin sucht die kritische Auseinandersetzung

„Wo warst du...“ heißt eine Text- und Bildinstallation, die die Künstlerin Irmhild Sellhorst in der Kunstkirche Christ König realisiert. Die eindringlichen Worte des 74. Psalms werden mit verstörenden Videosquenzen konfrontiert.
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