KUNST IN CHRIST-KÖNIG

 

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HEIMAT

Eine Einführung in ein komplexes Themenfeld
zur Vernissage von „heimat(en)“ am 03.03.2013

von Dr. Elisabeth Kessler-Slotta 

Der Zugriff auf „Heimat“ boomt dieser Tage, allerorten und in vielen durchaus verschiedenartigen Bereichen  -  der Musik, der Literatur, dem Film und nun auch in KICK – taucht der Begriff in einer irritierenden Pluralität auf, da er auf eigentümliche Weise Erinnerungen  an etwas Nostalgisches heraufbeschwört. Doch einfach sind weder der Umgang mit diesem Thema noch die Fixierung selbst.

„Etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat“, so von Ernst Bloch in seinem Werk „das Prinzip Hoffnung“ eher als Imagination und Utopie umrissen, vermag die Vorstellung von Heimat also auf die Polarisierung von Zeit und Ort zu verweisen, wesentliche Kategorien, die dem vielschichtigen Verständnis sowie dem komplex beladenen Begriff innewohnen.

Doch was ist Heimat? Im „Brockhaus-Lexikon“ heißt es unter dem Stichwort „Heimat“ kurz und lapidar: „Ort, wo man zu Hause ist, Wohnort und Umgebung oder Geburtsort, Ursprungs-, Herkunftsland“. Wenn  auch die konkrete Ortsbestimmung als primäre Bedeutungsebene auftaucht, so sind daneben noch andere, weiträumigere Bereiche angefügt, die quasi in Kurzform schon auf den komplexen Spannungsbogen regionaler Verankerung und internationalem Migrantentum  unserer Gegenwart zu verweisen scheint. Auch Bernhard Schlink formulierte in seinem Essay „Heimat als Utopie“ aus dem Jahre 2000 geradezu in philosophischer Rezeption: „Heimat ist ein Ort, nicht als der, der er ist, sondern als der, der er nicht ist.“ Ähnliches, aber durchaus verständlich ausgedrückt, kann man bei Thea Dorn und Richard Wagner in ihrem Werk „die deutsche Seele“ aus dem Jahre 2011 nachlesen:“ Zur Heimat hat die deutsche Öffentlichkeit ein kompliziertes Verhältnis, es sei denn, Heimat steht für etwas anderes und ist ein Ersatz.“

Doch lässt sich vom Begriff selbst wie auch der Reflexion über Heimat die Dimension der Zeit nicht abkoppeln, zu genuin sind Vergangenheit und Gegenwart wie auch Zukunft miteinander verzahnt, bedingen und durchdringen sich. Die Erinnerung als die individuelle, aber auch als kollektive Archivinstanz kann auf entlegene Geschehnisse zurückgreifen, um als Gegenpol zur sichtbaren Welt einstige Erlebnisse sowie sinnliche Eindrücke aller Art zu vergegenwärtigen: Dagegen allerdings formt etwa im Religionsverständnis des Christentums die Jenseitserwartung das gegenwärtige Leben, wie etwa für Augustinus der Himmel das Synonym von Heimat bedeutete. Blickt man jedoch auf die Historie, so zeichnen sich durchaus problematische Bezüge ab, da Vereinnahmungen vielfach zu Verunglimpfungen führten, nicht nur in der vermeintlich romantischen Verfremdung und Trivialisierung, sondern speziell in der politischen Instrumentalisierung und im Missbrauch durch die nationalsozialistische „Blut-und- Boden-Ideologie“. Dagegen stellte die Lyrikerin Rose Ausländer(1901-1988) in existenzieller Bedrängnis die bange Frage „Denn wo ist Heimat?“ in einem ihrem Landsmann und Kollegen Paul Celan 1944 gewidmeten Gedicht:

„Für P.A.

Du hast mit deinen Sternen nicht gespart.
Die Fernen drängen sich an deine Tür.
Es bricht der dürre Ast der Gegenwart,
Die guten alten Mächte dienen dir.
Denn wo ist Heimat?
Keiner weiß Bescheid.
Wo Schwalben nisten, sind wir nicht allein.
Die Chrysanthemen nehmen unser Leid
Hinüber in ihr leises Anderssein.

Wenn Schatten heut dein Lorbeer sind, verhüll
Das Antlitz, bis die Möwe wiederkehrt.
Es ist so dunkel wie dein Herz es will,
Das staunend seinen Wert von dir erfährt.

Ein Raunen reiht sich deinen Dingen an.
Du stehst mit vielen Stimmen schon im Bund.
Vergiss, wann diese kleine Zeit begann.
Die großen Zeiten segnen deinen Mund.“


Als Jüdin von den SS-Truppen verfolgt, ist aus ihren Zeilen der Verlust von Sicherheit und Zugehörigkeit auf beklemmende Weise herauszulesen. Ihr wird das Wort zur Heimat, das sie formt und bis zuletzt schöpferisch gestaltet.

Gegenüber diesen schlaglichtartig beleuchteten Aspekten ist Heimat vielmehr ein qualitativer Begriff für innere und äußere Prägung, abhängig von der sozialen und kulturellen Umwelt, die es dem Menschen ermöglicht, sich nach eigenen Vorstellungen räumlich und geistig zu verorten. Anstelle des eher altmodisch anmutenden Begriffs „Heimat“ – der allerdings in unseren Tagen ein Revival erlebt – ist die Identifikation, die Erfahrungen solcher Art entstehen lässt, getreten. Emotionale, soziale und strukturelle Profilierungen führen zur Entwicklung eines polyvalenten, sich aus sehr verschiedenartigen Facetten rekrutierenden Heimatbildes. Trotz aller positiven Einflüsse wird Heimat dennoch vielfach auch als Schutzzone, als Ort privaten und familiären Rückzugs verstanden, da sich Identität und Sicherheit erst im Abgrenzen einnisten.

   




Heimat-en

Ein kleiner theologischer Impuls

von Norbert Lepping

 

„Das ist meine 2. Heimat ...“

„Heimat ist das Gefühl, verweilen zu können ...“

„Heimat ist Pflaumenkuchen und Bohnerwachs ...“

Drei beliebige Sätze zum Thema „Heimat“.

Heimat braucht jeder.


Ein Blick auf theologische Veröffentlichungen der zurückliegenden Jahre zeigt, Nachdenken über Heimat liegt auch theologisch im Trend: „Gemeinde als Heimat“, „Fremde Heimat Kirche“, „Kirche als Wahlheimat“, „Der Zukunft Heimat geben“, „In fremder Welt zu Hause“, „Gemeinde als Herberge“....

Heimat und Heimatsuche scheinen auf eine für die Kirchenbildung und für die zukünftige Kirchengestalt grundlegende Kategorie der Pastoral aufmerksam zu machen.

Doch die meisten Menschen assoziieren mit Kirche heute eher Heimatlosigkeit als Heimat. So hat das Bistum Essen in seinem Strukturprozess der zurückliegenden Jahre 94 Kirchen abgeschlossen und damit vielen Menschen einen kirchlichen Heimatort genommen.

Mit welchem Recht erlaubt sich jetzt das KICK-Team, in einer so genannten „weiteren Kirche“ – der jetzigen Kunst-Kirche - ein Jahresthema zu wählen, das innerkirchlich so viele Verletzungen provoziert hat?


Das kirchliche Selbstverständnis selbst sorgt für nicht geringe Verwirrung.

Kirche als „Ecclesía“ versteht sich nämlich als die Gemeinschaft der „Herausgerufenen“ ... nicht zurück in die warme Stube, sondern hinaus in die Welt: Kirche verliert sich nicht in der Welt, sie findet sich dort. Nach diesem Verständnis kommt es nicht auf die Hardware Kirchengebäude an, sondern auf die Software Mensch, der als Person anderen Menschen Heimat bietet. Heimat ist da, wo die Menschen sind, die mir Heimat bieten und denen ich Heimat bin.


Der vertraute Begriff „Pfarrei“ verweist in seinem ursprünglichen Wortsinn auf ein „Wohnen ohne Hausrecht“ – der Duden übersetzt den Begriff „Parochie“ (Pfarrei) mit „das Wohnen eines Fremden in einem Ort ohne Bürgerrecht“.

Die Christen haben diesen Begriff Parochie/Pfarrei für sich immer lakonisch überschrieben mit „Wir sind nur Gast auf Erden ...“ und trotzdem gleichzeitig ihre Heimat Kirche als eine „feste Burg“ verstanden. Beides passt aber irgendwie nicht zusammen ...

In diesem Sinne könnte „Pfarrei“ auch bedeuten: In Wirklichkeit haben wir keinen einklagbaren Anspruch auf ein irdisches Wohnrecht – unsere Pfarreien sind nur Durchgangsstationen unserer irdischen Existenz. Das, was wir hier Heimat nennen, beheimatet uns tatsächlich nur vorüber gehend ...

Da Dach über unserem Kopf darf uns nicht verführen zu denken, wir hätten es schon geschafft. Heimat ist nur verweilend zu verstehen.


Die Bibel erzählt in ihren zentralen Ur-Kunden von Zeugnissen, in denen es zunächst um die Erfahrung von Heimatverlust oder um die freiwillige Aufgabe der vertrauten Heimat geht.

So erwartet der Gott Jahwe von seinem Volk folgendes Bekenntnis: „Du aber sollst vor dem Herrn, deinem Gott, folgendes Bekenntnis ablegen: Mein Vater war ein heimatloser Aramäer. Er zog nach Ägypten, lebte dort als Fremder mit wenigen Leuten und wurde dort zu einem großen, mächtigen Volk.“ (vgl. Dtn 26, 5-10).

Und der Psalm 23, in dem es heißt: „Und im Haus des Herrn darf ich wohnen für lange Zeit“ spricht eben eine Verheißung von Heimat aus im Angesicht des Todes.


So verabschiedet sich Jesus auch mit Beginn seines öffentlichen Wirkens von der sesshaften Lebensform und wird ein charismatischer Wanderprediger, um so authentisch den Anbruch des Reiches Gottes zu bezeugen: „Die Füchse haben ihre Höhlen und die Vögel ihre Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann.“ Und im unmittelbaren Anschluss daran antwortet Jesus auf die Bitte eines Jüngers, der zuerst „heim gehen“ und seinen Vater begraben will: „Lass die Toten ihre Toten begraben.“ (vgl. Mt 8,20.21) Als Wanderprediger lebte er heimatlos, ohne festen Wohnsitz und ohne geregeltes Einkommen. Sein Beziehungskonzept könnte man vielleicht am ehesten mit dem Begriff „Wahlverwandtschaften“ umschreiben.

Eine größere Radikalität in Bezug auf das Nachdenken über Heimat als bei Jesus ist kaum denkbar.

Aber ist die Sehnsucht nach einer „Heimat Kirche“ denn so unbegründet?


Offensichtlich lassen Phänomene wie Individualisierung und Globalisierung als Weggefährten der Mobilität keine gesellschaftliche Gruppierung unberührt. Die nicht

zu leugnenden Leistungen und Errungenschaften einer mobilen Gesellschaft erweisen sich als hochgradig ambivalent: angestrebte und gewonnene Freiheiten

offenbaren auf der Rückseite der Medaille Unsicherheit und Angst, die von vielen Menschen als belastend oder bedrohlich empfunden werden. Der erstrebte Zugewinn an Freiheit, Glück und Lebensqualität korrespondiert bei vielen Menschen mit der Erfahrung von Unbehaustsein und Heimatlosigkeit. Je globaler die Welt sich gebärdet, desto stärker wächst die Sehnsucht nach dörflichen und überschaubaren Strukturen, eben nach Heimat.

Wattenscheid z.B. ist es endlich nach langem und zähen Ringen gelungen, das alte WAT-Kennzeichen wieder einzuführen. Als hätte es das Ringen um eine Ruhr-Metropole nie gegeben ...


Der Pastoralsoziologe Ebertz nimmt einen Perspektivenwechsel vor und beobachtet dabei die Tendenz einer bedrohlichen Milieuverengung der traditionellen Gemeinden. Seine Analyse ist dabei so einfach wie folgenreich:  „Die Kirchengemeinden drohen zu Segmenten einer partikularen Alters- und Bildungskultur zu werden, die auch in ästhetischer Hinsicht eine Teil- oder Sonderkultur repräsentieren.“ Die Gefahr der Selbstisolation von gemeindlichen Milieus ist dabei nicht von der Hand zu weisen. Wenn die Beheimatung der Christen in ihren Gemeinden dazu führt, dass andere gesellschaftliche Milieus als unangenehm und nicht willkommen ausgegrenzt werden, liegt ein Missverständnis von Jesu Botschaft vor. Alle sind Gäste im Himmelreich. Gott sein Dank trifft sich dort nicht nur das konservative Milieu.


Als Perspektive für die Kirche der Zukunft präsentiert Ebertz eine interessante Konzeption der „pastoralen Zwischenräume“, die er zwischen dem individuellen Lebensraum der Menschen und dem Organisationsraum der Parochie/Pfarrei ansiedelt.

Sein Konzept von Kirche-Sein heute spielt sich in den Zwischen-Räumen ab – da, wo ich eben nicht zu Hause bin, sondern womöglich fremd.

Wir brauchen nämlich auch das Fremde, das uns bereichert und in Frage stellt. Das Fremde sollte mehr Lust wecken als das Eigene – das Ungewohnte mehr reizen als das Bewohnte ... . Und das Wort „neu“ sollte uns heimatlicher werden als das Wort „alt“.


Der gesellschaftliche Ort einer solchen Kommunikationspastoral liegt jenseits von Pfarrei oder Familie – eben dazwischen, in den offenen Räumen der Gesellschaft.

Ein Haus bildet die christliche Vorstellung von Heimat eben nicht so gut ab wie vielleicht das Zelt oder die Arche oder ein Boot, das Jesus häufiger bestieg, um vom Reich Gottes zu erzählen, - eben das Offene.

Das Zweite Vatikanische Konzil beschreibt die Kirche als ein wanderndes Volk. Daher sollten wir als Kirche eigentlich mehr unterwegs sein als zu Haus ..

Bei der französischen Mystikerin Madleine Delbrel finde ich den Satz: „Brecht auf ohne Landkarte – und wisst, dass Gott unterwegs zu finden ist ...“

Heimat ist eben mehr als ein Ort oder ein Haus aus Stein. Heimat sind wir alle.

„Heimat“ ist ein Beziehungsbegriff.


Vielleicht müssen wir in dieser Kirche lernen, so viele „Heimaten“ zuzulassen, wie es Menschen gibt mit Träumen und Sehnsüchten und Leid und Not.

Wir als Kirche sollten der Raum sein, in dem jede und jeder zu sich selbst kommen darf und zu einem Gott, der uns Heimat sein will.

Und wir sollten nicht vergessen, dass wir nur auf der Durchreise sind.

Unsere Heimat ist der Himmel – wir sind eben nur Gast auf Erden ....


 



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